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JACOBIHAUS

ANDREAS SCHMITTEN

ZEICHNUNGEN

Feb. 2023 bis Apr. 2023

Öffnungszeiten: dienstags zwischen 18 und 21 Uhr sowie nach telefonischer Vereinbarung unter 0211 – 35 64 71.

Andreas Schmitten setzt sich mit der Inszenierung des Menschen im Verhältnis zu einer Welt auseinander, in der die Optimierung des Einzelnen wie der Gesellschaft zu ungewöhnlichen Zukunftsvisionen führt. Insbesondere für seine vielfältigen Skulpturen und multidisziplinären Installationen bekannt, findet der Künstler in der Zeichnung ein zusätzliches Mittel, um sich mit tiefgreifenden Fragen über den Menschen und seine Geschichte zu beschäftigen. Anhand von rund 30 Werken, unter anderem aus den Serien „Chimera Electrified“ und „Nothing New“, gibt die Ausstellung „Andreas Schmitten – Zeichnungen“ ab Februar 2023 Einblick in Schmittens Auseinandersetzung mit der Welt und ihren gesellschaftlichen Normen.

Chimera Electrified
oder Der moderne Prometheus

Mit dem Titel „Chimera Electrified“ überschreibt Andreas Schmitten eine Reihe von Zeichnungen, in denen Menschen drastische Maßnahmen zur vermeintlichen Perfektionierung oder Modifizierung ihrer Körper ergreifen. Hier wird zwei Männern die Schädeldecke mit einer Säge aufgeschnitten und entfernt, um sie anschließend an den Kopfwunden zu einer makabren Spiegelfigur zu vernähen. In einem anderen Bild durchdringt der ellenlange Aufsatz einer Bohrmaschine die Kehle einer jungen Frau. Behutsam fädelt jemand ein Kopfhörerkabel durch die kleine Öffnung, die keinem weiteren, offensichtlichen Zweck zu dienen scheint.

Mit nur wenigen Linien umreißt Andreas Schmitten in diesen Bildern die irrwitzig fehlgeleiteten Versuche, Mensch und technischen Fortschritt miteinander zu vereinen. Kabelbinder, ein Motorrad oder komplexe Operationstechniken – der Künstler greift mitunter bahnbrechende Erfindungen auf, um den Wunsch des Menschen nach der nächsthöheren Form von Existenz anzudeuten. Doch statt die Leben der Personen in seinen Bildern zu erleichtern oder schöner zu machen, lässt Schmitten sich die Figuren verstümmeln. Sie scheinen dabei keinerlei Schmerz zu empfinden, denn ihre Mienen bleiben stets ungerührt. Die monochromen Pastellfarbflächen, auf die der Künstler diese teils brutalen Szenen setzt, verschleiern dabei jeden Anschein von Barbarei. Beinah wirken sie friedlich in ihrer Präsenz, die an die nüchternen Darstellungen in Gebrauchsanweisungen erinnert.

Die Zeichnungen der Serie „Chimera Electrified“ (dt. Chimäre elektrifiziert) erinnern vor diesem Hintergrund an eine der erfolgreichsten Geschichten der Weltliteratur, an Mary Shelleys Roman „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ (1818). In diesem formt der junge Wissenschaftler Viktor Frankenstein ein künstliches Geschöpf aus menschlichen Körperteilen. Durch einen Stromstoß erweckt er es zum Leben. Wegen seines monströsen Anblicks von allen Menschen verstoßen, richtet sich das Mischwesen schließlich verzweifelt gegen seinen eigenen Schöpfer.

Nothing New

In Schmittens Zeichnungen scheint dieser gewaltsame Akt im Menschen selbst in Erscheinung zu treten. Was geschieht, wenn sich der Drang nach Zerstörung von innen nach außen kehrt, erzählt der Künstler in den paradoxen Bildgeschichten der Serie „Nothing New“. In der typischen Bildsprache von Comics entwirft Schmitten in diesen Zeichnungen unwirkliche Szenen des Menschen im Taumel der Zeit. So demoliert der Gast eines Einkaufszentrums das Innere eines gemauerten Aufzugs. Wie einen Vorhang zieht er dann eine Putzschicht beiseite und versteckt sich dahinter als sei nichts geschehen. In einem Schnellrestaurant setzen sich Jugendliche an einen Tisch, den sie anschließend mit langen Handsägen zerkleinern. Wie die Figuren in dem berühmten Gemälde „Der Tanz“ von Henri Matisse treffen sich zwei Gruppen von Menschen zum Reigen in einer von Wildwuchs befallenen Ruinenstadt. Während die eine die Skulptur der Siegesgöttin Nike umtanzt, feiert die andere ein rostendes Autowrack.

In all diesen Bildern vermitteln die gleichgültigen Gesichtszüge der dargestellten Personen eine irritierend kühle Distanz. Sie sind nicht in Einklang zu bringen mit den Räumen und Situationen, in denen sie wirken, denken und handeln. Normalität und Anomalie, Individuum und Gesellschaft oder Logik und Irrationalität markieren nur einige Themenfelder, die Schmitten in den farbenfrohen Sequenzen von „Nothing New“ verhandelt. Ob sie das Bild einer utopischen oder dystopischen Zukunft entwerfen, lässt sich dabei nicht immer klar bestimmen. Oberfläche und Effekt – es ist die spannungsvolle Beziehung zwischen Realität und ihrer Interpretation im Schatten von Wirtschaft, Religion, Politik oder Popkultur, für die Andreas Schmitten einzigartige Bildmetaphern entwickelt.

Text: Therés Lubinetzki

Abb.: Andreas Schmitten, Ohne Titel, 2016, Pigmentstift, Pigmentdruck, Acryllack, Buntstift auf Papier, 38 x 25,5 cm, Foto: Andreas Fechner

Fotos: Achim Kukulies, Düsseldorf